Bundesrechnungshof kritisiert die Energiewende: Strom zu teuer, Versorgung nicht sicher genug

Klaus Stratmann

30.03.2021 - 14:55 Uhr

Seit 2005 in Berlin, einer der inhaltlichen Schwerpunkte dort ist die Energiepolitik. Zuvor in der Düsseldorfer Handelsblatt-Zentrale. Vorher Redakteur bei der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (WAZ), davor Volontariat, Jurastudium und Banklehre. Der Bundesrechnungshof wirft der Bundesregierung Versäumnisse bei der Umsetzung der Energiewende vor. Die Behörde sorgt sich deshalb um die deutsche Wettbewerbsfähigkeit.

Berlin - Wenn sich der Bundesrechnungshof mit der Energiewende befasst, gibt er der Bundesregierung schlechte Noten. Das war 2016 so, das war 2018 so, und das ist in diesem Jahr wieder so. Die Ergebnisse seien ernüchternd, sagte Kay Scheller, Präsident des Bundesrechnungshofes (BRH), am Dienstag bei der Präsentation des "Berichts zur Umsetzung der Energiewende im Hinblick auf die Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit bei Elektrizität".

Windpark in Brandenburg
Der Bundesrechnungshof fordert einen Kurswechsel bei der Finanzierung des Ausbaus erneuerbarer Energien.
(Foto: dpa)

Seit 2018, als der BRH einen Bericht über die Koordination und Steuerung der Energiewende durch das Bundeswirtschaftsministerium vorgelegt hatte, habe sich "zu wenig getan", resümierte Scheller. "Schon 2018 empfahlen wir dem Bundeswirtschaftsministerium, transparent zu machen, was es unter Bezahlbarkeit der Energiewende versteht", sagte Scheller.

Dazu ziehe der BRH heute eine "magere Bilanz". Das Ministerium habe noch immer nicht bestimmt, was es unter einer preisgünstigen und effizienten Versorgung mit Elektrizität verstehe. Es sei ungeklärt, bis zu welchem Niveau Strom als preisgünstig gelte. "In keinem anderen EU-Mitgliedstaat sind die Strompreise für typische Privathaushalte zurzeit höher als in Deutschland.

Sie liegen 43 Prozent über dem EU-Durchschnitt", heißt es in dem Bericht des Rechnungshofes. Für Gewerbe- und Industriekunden liegen die Preise dem Bericht zufolge "an der Spitze". Lediglich für Großverbraucher - etwa aus der Stahl- oder der Chemieindustrie - mit einem Jahresverbrauch von mehr als 150.000 Megawattstunden liegen die Preise laut BRH unter dem EU-Schnitt.

Die kleine Gruppe der sehr großen Stromverbraucher profitiert von einer Reihe von Sonderregelungen wie beispielsweise der Besonderen Ausgleichsregelung (BesAR) des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG). Diese Sonderregelungen führen dazu, dass die Abgaben und Umlagen auf den Strompreis deutlich reduziert werden. Die BesAR gilt allerdings nur für etwa 2200 Abnahmestellen.

Preistreiber beim Strom sind nicht etwa die reinen Erzeugungskosten, sondern vielmehr eine Vielzahl von Abgaben, Umlagen und Steuern. Das beginnt bei der EEG-Umlage, die der Finanzierung der Stromerzeugung aus erneuerbaren Quellen dient, und führt über die Entgelte für die Netznutzung, die Umlage zur Förderung der Kraft-Wärme-Kopplung (KWK), die Offshore-Haftungsumlage bis zur Stromsteuer. Damit sind 75 Prozent der Strompreisbestandteile staatlich geregelt.

Unternehmen beklagen hohe Strompreise

Längst sind die hohen Strompreise ein Standortfaktor geworden. Zuletzt hatte es beispielsweise massive Kritik der Halbleiter-Branche gegeben. Die Unternehmen sagen, unter den aktuellen Bedingungen lasse sich keine wettbewerbsfähige Produktion in Deutschland betreiben.

Die Schlussfolgerung des Bundesrechnungshofs ist eindeutig: "Das Bundeswirtschaftsministerium muss anstreben, das System der staatlich geregelten Energiepreis-Bestandteile grundlegend zu reformieren. Anderenfalls besteht das Risiko, die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands und die Akzeptanz für die Energiewende zu verlieren", heißt es in dem Bericht.

Das hohe Strompreisniveau in Deutschland ist seit Jahren ein viel diskutiertes Thema. Wirtschaftsverbände und Verbraucherschützer fordern eine grundlegende Abkehr vom bisherigen System.

Das Bundeswirtschaftsministerium verschließt sich dieser Forderung nicht. Peter Altmaier hatte das Thema gleich zu Beginn seiner Amtszeit als Bundeswirtschaftsminister auf die Tagesordnung gesetzt. Die Fortschritte sind allerdings im Moment noch überschaubar.

Im Juni vergangenen Jahres beschloss die Große Koalition mit dem Konjunkturpaket zur Bekämpfung der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie, die EEG-Umlage in diesem Jahr auf 6,5 Cent je Kilowattstunde Strom zu deckeln, im Jahr 2022 auf sechs Cent. Der Finanzbedarf für diese Maßnahme wird mit elf Milliarden Euro beziffert.

Damit geht die Bundesregierung einen Schritt, der von großen Teilen der Wirtschaft lange gefordert worden war: Der Ausbau der erneuerbaren Energien wird zum Teil aus dem Haushalt bezahlt. Nach Überzeugung der Koalitionsparteien kann die Deckelung der Umlage nur der Anfang sein: Im Dezember 2020 sprach sich der Bundestag mit den Stimmen von Union und SPD dafür aus, den Weg zur Stabilisierung und schrittweisen Senkung der EEG-Umlage "konsequent weiter zu beschreiten".

Aus Sicht des Bundesrechnungshofs hat die Umstellung auf die Finanzierung aus Haushaltsmitteln aber auch Nachteile: Sie kaschiere die Kosten des Ausbaus der Erneuerbaren. Der Rechnungshof spricht sich dafür aus, eine "marktbasierte CO2-Bepreisung" zum Kern einer Preisreform zu machen.

Seit Jahresbeginn gilt für die Sektoren Verkehr und Wärme eine CO2-Bepreisung, die im Brennstoffemissionshandelsgesetz (BEHG) geregelt ist. Der CO2-Preis beträgt in diesem Jahr 25 Euro je Tonne, im BEHG ist ein Anstieg auf 55 Euro bis 2025 festgelegt. Die Lenkungswirkung des CO2-Preises ist im Moment noch gering. Die Sektoren Industrie und Energie sind bereits seit 2005 dem europäischen Emissionshandelssystem unterworfen.

Bund soll Risiken für die Versorgungssicherheit erfassen

Erhebliche Defizite sieht der Rechnungshof bei der Erfassung und Bewertung der Versorgungssicherheit. "Hier muss das Bundeswirtschaftsministerium sein Monitoring vervollständigen und dringend Szenarien untersuchen, die aktuelle Entwicklungen und bestehende Risiken vollständig und realistisch erfassen", forderte Scheller.

Der Rechnungshof benennt diese "Entwicklungen und Risiken" in seinem Bericht genau. So hinterlasse der Kohleausstieg eine Kapazitätslücke von bis zu 4,5 Gigawatt (GW).

Tatsächlich fällt mit dem Kohleausstieg ein erheblicher Teil der gesicherten Kraftwerksleistung weg, der immer dann zur Verfügung stehen muss, wenn Sonne und Wind keine nennenswerten Beiträge zur Stromerzeugung leisten können. Um die Lücke zu füllen, müssten neue Kraftwerke gebaut werden. In Betracht kommen Gaskraftwerke, die später auch mit Wasserstoff betrieben werden könnten.

Das Problem ist im Bundeswirtschaftsministerium bekannt. Einzelne Fachleute sagen gar, die Lücke betrage bis zu zehn GW. Zur Einordnung: Ein GW entspricht in etwa der Leistung eines Großkraftwerks.

Im Moment fehlen Anreize für den Bau von neuen Kraftwerken. Das Problem dabei: Die Zeit drängt. Bereits Mitte des Jahrzehnts müssen die neuen Kraftwerkskapazitäten zur Verfügung stehen. Brancheninsider sagen, es sei im Moment überhaupt nicht erkennbar, woher die Kapazitäten kommen sollen.

Als weiteren Risikofaktor sieht der Rechnungshof "den stockenden Netzausbau und eingeschränkte grenzüberschreitende Austauschkapazitäten" für Strom. Beides habe "erheblichen Einfluss auf die Versorgungssicherheit", schreibt der Rechnungshof.

Hinzu kämen die neuen Pläne zur Wasserstoffgewinnung und zur Elektrifizierung in den Sektoren Wärme und Verkehr, die "erheblichen Strommehrbedarf" verursachten.

Rechnungshof fordert Stresstest

Tatsächlich muss das Bundeswirtschaftsministerium sich seit Monaten gegen die Kritik wehren, es gehe von einem zu schwachem Anstieg der Stromnachfrage aus.

Zudem müsse das Wirtschaftsministerium für seine Berechnungen auch Jahre mit extremem Klima berücksichtigen, in denen Wind und Sonne erheblich weniger Strom erzeugten, schreibt der Rechnungshof. Trotz dieser Unwägbarkeiten habe das Ministerium noch kein Worst-Case-Szenario untersucht. Ein solcher Stresstest sei aber notwendig.

"Der Bericht legt den Finger in die Wunde: Die Bundesregierung muss mehr bei den Themen Finanzierung der Energiewende und Versorgungssicherheit tun", sagte Ingbert Liebing, Hauptgeschäftsführer des Verbandes Kommunaler Unternehmen (VKU). "Versorgungssicherheit ist ein wertvolles Gut für den Wirtschaftsstandort Deutschland, mit dem das Bundeswirtschaftsministerium sorgsamer umgehen muss", ergänzte er. Um Fehlentwicklungen frühzeitig zu korrigieren, seien realistische Annahmen für die künftige Versorgungssicherheit erforderlich. Dazu gehöre auch, das bestehende Versorgungssicherheitsmonitoring um einen Stresstest zu ergänzen, sagte Liebing.

Quelle: Handelsblatt vom 30.03.2021